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Zeit ihres Lebens war Liliya Dimova eine Verehrerin der schönen Künste und eine hingebungsvolle Muse in Künstlerkreisen. Und das war die meiste Zeit gar nicht so einfach. Denn ihre Heimat Bulgarien gehörte zu den treuesten Vasallenstaaten der UdSSR. Und als Kunst, besonders als Literatur wurden nur systemkonforme Werke geduldet.
Das musste auch ihr Mann, der einst so vielversprechende Schriftsteller Anton Tscherkesow bitter und am eigenen Leib erfahren. Seither pflegt er einen tiefen Hass auf den hochgelobten sowjetischen Schriftsteller und Nobelpreisträger Michail Scholochow. Nebenher züchtet er „Kackonauten“, um mit ihrer Hilfe die Denkmäler von Sofia zu beschmutzen.
Aber auch Liliya hat ihre kleinen Fluchten. Sie gründet mit ein paar Frauen den Club der „Freundinnen des Fischfangs“, mit dem Ziel, die „Schönheit des Vögelns“ zu fördern.
Inhaltsverzeichnis
Dimitri Verhulst
Der flämische Schriftsteller Dimitri Verhulst, Jahrgang 1972, wuchs in etlichen Kinderheimen und bei Pflegeeltern auf. Nach mehreren Jobs veröffentlichte er 1999 seinen ersten Roman. Eine Aufarbeitung seiner Kindheitserlebnisse hat er mit dem Roman „Die Beschissenheit der Dinge“, der auch verfilmt wurde, zu Papier gebracht.
Er gehört zu den besten auf Niederländisch schreibenden Schriftstellern. Dennoch ist zumindest im deutschsprachigen Netz nicht viel über diesen Autor zu finden.
Michail Scholochow
Eine zentrale Rolle in diesem Roman spielt der russische Autor Michail Scholochow (1905-1984). Er kam aus einfachen Verhältnissen, trat 1918 den Bolschewiki im Bürgerkrieg bei und begann dort zu schreiben. Er galt mit epischen Werken wie „Der stille Don“ als proletarisches und linientreues Aushängeschild der sowjetischen Literatur. 1965 erhielt er den Nobelpreis für Literatur, angeblich – so Dimitri Verhulst – weil der Westen die Sowjetunion beruhigen wollte.
In diesem Buch wird Scholochow als Feindbild stilisiert und steht damit beispielhaft für die Unterdrückung und Reglementierung der Literatur in Bulgarien vor dem Niedergang des kommunistischen Regimes. In anderen totalitären Staaten lief oder läuft eine solche Reglementierung natürlich ganz ähnlich ab.
Das Leben von unten gesehen – Meine Meinung
Wenn ihr meine hier veröffentlichten Rezensionen verfolgt, könntet ihr zu der Überzeugung gelangen, dass ich lediglich Krimis und Thriller lese. Aber tatsächlich stimmt das gar nicht. Und gerne lese ich Belletristik, besonders, wenn sie sich jenseits aller Shortlists, Longlists, Bestsellerlisten und wie sie alle heißen, befindet.
Das Leben von unten gesehen ist das beste Beispiel dafür.
Eine Geschichte wie ein Spaziergang
Eigentlich ist die Story nicht besonders außergewöhnlich.
Wir verfolgen das Leben von Liliya Dimova (geboren 1945 während der Bombardierung Sofias durch die Alliierten), erleben sie als junge, literaturversessene Frau, später als 71-jährige, die die Buchseiten von dem verhassten Michail Scholochow als Toilettenpapier verwendet.
Dabei erleben wir immer wieder Zeitsprünge. Ein Kapitel spielt 1944, das nächste 2013, ein weiteres ist vielleicht 1973 angesiedelt.
Dennoch kommt einem das Lesen vor, wie ein Spaziergang. Es ist Frühsommer, wir flanieren vielleicht durch den Borissova Gradina, ein altehrwürdiger Park in Sofia. Das Leben ist leicht und locker, man guckt mal hier, mal da. Aber von Zeit zu Zeit blicken wir hinter die Kulissen, erkennen all die unschönen Dinge und stolpern. Aber dann gibt es auch etwas zum Schmunzeln oder zum Lachen. Im Buch sind das zum Beispiel Titulierungen, wie Nikita Sliwowitz Chruschtschow und sein Modellstaathintern oder Leonid Wodka Breschnew. Dabei fragen wir uns, was dieser Putin wohl so trinkt.
Man lacht über das Antons Kackonauten-Projekt, in dessen Folge er Tauben züchtet und darauf dressiert, sich möglichst effektiv über den Sowjet-Denkmälern in Sofia zu erleichtern.
Fazit:
Ich mache es mal kurz: Das Leben von unten gesehen hat mir richtig gut gefallen. Ich mag groteske Geschichten und ich mag die tragisch-komische Note in diesem Buch.
Unterm Strich geht es hier nur um eines: Die Freiheit des gedruckten Worts.
Wem könnte dieses Buch gefallen:
- Leser, die sich einen Einblick in den real existierenden Sozialismus wünschen
- Leser, die das Besondere lieben
- Alle, die mit Krimis, Thrillern, Historischen Romanen und Liebesgeschichten nicht viel anfangen können
Für wen wäre dieses Buch eher nicht geeignet:
- Fans von allem, für die ein Michail Scholochow stehen könnte
- Leser, die sich bei ihrem Lesestoff nach den aktuellen Bestsellerlisten orientieren
- Alle, die nur etwas mit Krimis, Thrillern, Historischen Romanen und Liebesgeschichten etwas anfangen können
Bibliografisches zu dem Roman „Das Leben von unten gesehen“:
- Titel: Das Leben von unten gesehen
- Autor: Dimitri Verhulst, Rainer Kersten (Übersetzung)
- Originaltitel: Het leven gezien van beneden
- Taschenbuch: 176 Seiten
- Verlag: btb Verlag; Auflage: Deutsche Erstausgabe (10. Februar 2020)
- Sprache: Deutsch
- ISBN-10: 3442717833
- ISBN-13: 978-3442717835
- Preis Stand Juli 2020: 10,00 Euro (Taschenbuch), 8,99 Euro (Kindle)
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(Alle Angaben ohne Gewähr)
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Wenn ich jetzt wetten würde, dass ihr noch niemals etwas von dem Autor Dimitri Verhulst gehört oder gelesen habt, würde ich diese Wette gewinnen. Oder?
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Dieses Rezensionsexemplar wurde mir freundlicherweise vom Verlag Random House zur Verfügung gestellt. Vielen Dank.
Text: Das Leben von unten gesehen – Ein Roman von Dimitri Verhulst ©sabienes-welt.de
Alle Fotos: Das Leben von unten gesehen – Ein Roman von Dimitri Verhulst ©sabienes-welt.de
Komische Note klingt nach meinem Geschmack!
Liebe Grüße!
@Shadownlight: Das Buch könnte dir vielleicht sogar gefallen!
LG
Sabiene