*Dieser Rezension zu dem Titel Vox enthält Amazonlinks*
Nach einem Regierungswechsel in den USA sind die Frauen absolut rechtlos geworden.
Sie dürfen keinen Beruf mehr ausüben, nicht zur Wahl gehen und ihre Reisepässe wurden eingezogen.
Und sie dürfen nicht mehr als 100 Wörter am Tag sprechen. Für die Einhaltung dieser Regelung sorgt ein Metallband am Arm, dass bei einer Überschreitung dieser Grenze empfindliche Stromstöße an die Trägerin aussendet.
Die Wissenschaftlerin Jean McClellan sitzt nun zur Hausarbeit verdammt in ihrem Haus und macht sich Sorgen. Während ihr Mann und ihre drei Söhne zwischen Mitgefühl und Machismus schwanken, ist auch ihre fünfjährige Tochter Sonia von dieser Regelung betroffen. In der Schule lernt sie statt Lesen und Schreiben und Kochen und Hausarbeit und bekommt Preise im Mundhalten.
Doch dann erhält Jean eine unglaubliche Chance
Inhaltsverzeichnis
Christina Dalcher
Die Amerikanerin Christina Dalcher ist promovierte Linguistikerin und beschäftigte sich viel mit Sprache, Sprachwandel und britischen und italienischen Dialekten.
Bislang konnte sie sich mit Kurzgeschichten in Magazinen und Zeitschriften einen gewissen Namen machen. Das vorliegende Buch ist ihr erster Roman und sie hat ihn nach eigenen Angaben in nur zwei Monaten geschrieben.
Christina Dalcher lebt mit ihrem Mann abwechselnd in Virginia und Neapel.
Vox – Meine Meinung
Die erste Hälfte des Buches
Etwa bis zur Hälfte des Buches war ich einfach nur mitgerissen von dieser Erzählung.
Die Autorin schildert dieses sprachlose Leben der amerikanischen Frauen, das ihnen von ihrer religiös verbrämten Regierung als „Reinheit“ verkauft wird. Dabei weist Frau Dalcher ein gewisses Talent zu Rückblenden auf, in denen sie immer wieder sehr geschickt von ihrer Studentenzeit und der politischen Entwicklung erzählt. Dabei übt die Protagonistin und Heldin durchaus eine gewisse Selbstkritik. Denn früher, schon als Studentin hat sie sich für Politik weniger interessiert, als für ihr Studium und für Patrick, ihren späteren Ehemann.
Ebendieser Patrick erscheint im Romanverlauf eher etwas hilflos und blass. Das liegt vielleicht auch daran, dass nach dem Wegfall der weiblichen Arbeitskräfte alle Männer doppelt so viel arbeiten müssen und dementsprechend erschöpft sind.
Die Sorge um ihre kleine Tochter empfand ich als einfach nur bedrückend, obwohl das Mädchen ganz gut damit zurechtzukommen scheint. Der Wut auf ihren ältesten Sohn, der in einer Art „Jungschar“ für die Einhaltung der neuen Regeln sorgt, war sehr nachvollziehbar.
Die zweite Hälfte des Buches
Genau in dem Moment, an dem ich diese Orwell’sche Schilderung einer Dystopie nicht mehr ertragen konnte, beginnt die Wende in dieser Erzählung.
Was man aber als gebeutelte Leserin vor lauter „Hurra!“ und „Rache!“ im ersten Moment leider übersieht ist, wie kitschig und flach auf einmal alles wird.
Da haben wir zum einen ihre unglaublichen Qualifikationen als Neurolinguistin, die vor ihrem Berufsverbot kurz davor stand, ein Mittel gegen eine besondere Form der Aphasie zu entwickeln. Und genau diese Kenntnisse werden nun dringend gebraucht und sie kann die komplizierten Zusammenhänge auch sofort wieder abrufen.
Und dann haben wir den Auftritt von Lorenzo, einem italienischen Alphamännchen, der nach Jeans Aussagen schier Unglaubliches geschafft hat:
„Einmal war er mir in den Waschraum des Instituts gefolgt und hatte mich – ich schäme mich, das zuzugeben – nur mit einem Finger zum Orgasmus gebracht.“
In der zweiten Hälfte kommt dann auch noch der italophile Zug von Christina Dalcher zum Tragen. Denn Jean ist eigentlich italienischer Abstammung (Gianna!) und ihre Eltern leben auch irgendwo in Süditalien und dort darf man reden, so viel man will. Und überhaupt ist dort das gelobte Land.
Am Ende wird alles gut. Also nix mit George Orwell. Und für einen Dan Brown hat es auch nicht gereicht, obwohl Vox immer wieder mit den Romanen dieses Autors verglichen wurde.
Warum man Vox lesen sollte
Meine negative Kritik bezieht sich nur auf die zweite Hälfte. Die erste fand ich nämlich sehr gut und schlüssig.
Es ist durchaus ein denkenswertes Szenario, einer Gruppe in der Bevölkerung ihre Ausdrucksmöglichkeit zu verwehren. Ausdrücken kann man sich durch Bildende Kunst, durch gesprochene und geschriebene Worte genauso, wie durch Kleinigkeiten, zum Beispiel durch Kleidung. Und man könnte da durchaus Parallelen ziehen zu religiösen Führern, die Frauen in Kopftücher oder noch schlimmer: in Burkas zwängen.
Den Grundgedanken einer staatlich indoktrinierten Ausdruckslosigkeit, hier Sprachlosigkeit, fand ich sehr bedrückend.
Wie wirkt ein solches Szenario auf euch? Könntet ihr euch vorstellen, nur noch 100 Wörter am Tag zu reden? (Schreiben und Gesten sind übrigens auch verboten)
Es hätte dem Roman vielleicht gut getan, wenn die Autorin noch ein oder zwei Monate länger daran geschrieben hätte.
Wem könnte dieses Buch gefallen?
- Frauen
- Männer, die Manns genug sind, um sich nicht vor Frauen zu fürchten
- Frauen, die ein schlechtes Gewissen haben, weil sie angeblich so viel reden
Für wen wäre diese Buch eher nicht geeignet?
- Leser, die keine Dystopien mögen
- Menschen, die die Zeit um 60 Jahre oder noch mehr zurückdrehen möchten
Bibliografisches zu dem Roman „Vox“
- Titel: Vox
- Autor: Christina Dalcher, Marion Balkenhol (Übersetzung), Susanne Aeckerle (Übersetzung)
- Originaltitel: Vox
- Gebundene Ausgabe: 400 Seiten
- Verlag: S. FISCHER; Auflage: 2 (15. August 2018)
- Sprache: Deutsch
- ISBN-13: 978-3103974072
- Preis (Stand April 2020): 20,00 Euro (Gebundenes Buch), 12,00 Euro (Taschenbuch), 9,99 Euro (Kindle), 14,49 Euro (Audio-CD, gesprochen von Andrea Sawatzki)
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(Alle Angaben ohne Gewähr)
Hinweis: Dieser Artikel erschien ursprünglich auf meinem Blog Frau Sabienes.
Text: Vox – Ein bedrückender Roman von Christina Dalcher ©sabienes-welt.de
Alle Fotos: Vox – Ein bedrückender Roman von Christina Dalcher ©sabienes-welt.de