*Diese Rezension zu dem Roman Die Hungrigen und die Satten enthält Amazonlinks*
In einem Flüchtlingscamp irgendwo in Afrika. Der namenlose Flüchtling und seine Freunde träumen von einer Flucht nach Deutschland. Aber dort ist inzwischen ein neuer Merkel an der Macht – diesmal ein Mann. Und dieser hat eine strikte Obergrenze für Asylsuchende eingeführt. Eine Flucht ist nun fast unmöglich geworden, zudem die Schlepper ihre Preise ins Uferlose erhöht haben.
Doch da bekommen sie ganz unerwartete Hilfe von einem deutschen Fernsehteam. Denn die populäre und zugleich oberflächliche Moderatorin Nadeche Hackenbusch soll für einen Privatsender eine Live-Reportage über die Zustände in diesem Camp drehen. Dabei verliebt sie sich vor laufender Kamera in den Flüchtling (der nun Lionel genannt wird) und setzt mit ihm einen ungeheuerlichen Plan in die Wirklichkeit um. Sie starten vor laufender Kamera mit 150.000 Flüchtlingen einen Fußmarsch in das gelobte Land Deutschland!
Die Quoten sind phänomenal, das Fernsehpublikum ist begeistert und die Verantwortlichen im Sender jubeln.
Eher wenig Begeisterung können die Rechtspopulisten in der Bundesrepublik für diese Aktion empfinden, die zum Schluss auf irrwitzige 500.000 Flüchtlinge angewachsen sein wird. Und mit ihnen ist natürlich auch das Innenministerium unter Leitung von Joseph Leubl unschlüssig, wie sie auf einen solch ungeheuerlichen Ansturm reagieren sollen.
Was ist politisch klug? Was ist die richtige Taktik?
Und welches Handeln wäre aus menschlichen Gesichtspunkten angebracht?
Inhaltsverzeichnis
Timur Vermes
Timur Vermes, Jahrgang 1967 verdankt diesen ungewöhnlichen Namen seinem aus Ungarn stammenden Vater.
Er wuchs in der Gegend von Nürnberg auf, studierte in Erlangen Geschichte und Politik und arbeitete für verschiedene Zeitungen und Magazine. Mit seinem 2012 veröffentlichten Roman Er ist wieder da schrieb er sich in die internationalen Beststellerlisten.
Die Hungrigen und die Satten ist sein zweites Buch.
Die Hungrigen und die Satten – Meine Meinung
Das Timur Vermes einen erfreulichen Hang zu grotesken Erzählungen hat, konnte er ja bereits mit seinem Erstling Er ist wieder da beweisen. Allerdings bin ich nie ein großer Fan von diesem Werk gewesen. Denn durch die Wiederauferstehung eines etwas trottelig wirkenden Adolf Hitlers wurde mir ein Symbol für Menschenverachtung und Faschismus zu sehr zur Witzfigur erhoben. Außerdem vermute ich, dass dieses Buch viel zu oft von den falschen Leuten geliebt wird.
Auch war ich mir nie sicher, wie ich Timur Vermes politisch einschätzen soll.
Mit dem vorliegenden Werk Die Hungrigen und die Satten nimmt der Autor eine sehr deutliche gesellschaftspolitische Haltung ein, an der ich mich besser orientieren kann.
Und die mir auch gefällt.
Hier einmal eine kurze Beschreibung der beteiligten Institutionen und Protagonisten:
Die Medien
Die Medien und hier besonders die Fernsehmedien und da besonders die Privatsender kommen am schlechtesten weg. Das ewige Schielen der Fernsehmacher nach den Quoten und die dadurch gut zu verkaufenden Werbeminuten mutet einen schon fast peinlich an. In den Redaktionen wird jede Sequenz akzeptiert, wenn man vermuten kann, dass sie beim Fernsehvolk gut ankommt. Auf Moral oder gar Menschlichkeit kommt es hier überhaupt nicht an. Hauptsache, der Zuschauer kann damit satt und zufrieden entlassen werden.
Die Politiker
Die Politiker in Deutschland kommen in der Erzählung lediglich in Form der Mitarbeiter des Innenministeriums vor. „Der neue Merkel“ (wunderschön bezeichnet!) hat eigentlich gar nichts zu tun. Und was machen die Herren Innenpolitiker? Nichts. Sie zögern, warten ab und wollen keine Verantwortung übernehmen. Obwohl der Joseph Leubl eigentlich ein recht nachdenklicher Mensch zu sein scheint – und genau daran scheitert.
Nadeche Hackenbusch
Als ich den Namen zum ersten Mal las, wusste ich gleich, dass ich diese Protagonistin nicht mag. Es scheint so, als hätte der Autor diese Figur aus allen schlechten Eigenschaften derzeitiger weiblichen Fernsehpromis gebastelt. Aber so zickig, kapriziös und erfolgsgeil Hackenbusch auch am Anfang ist, so sehr gewinnt sie am Ende des Buches.
Ihre Englischkenntnisse werden damit aber nicht besser.
Lionel und die Flüchtlinge
Der Flüchtling Lionel wird zuerst nur „der Flüchtling“ genannt und wirkt dadurch bedrückend namenlos. Seinen wirklichen Namen erfährt man nie und somit steht er für all diese anonymen, oftmals geschundenen Menschen, die nichts mehr zu verlieren haben. Weder weiß man, woher er oder sie kommen, noch wohin er oder sie gehen werden.
Aus welchem Land kommt er?
Das ist nicht wichtig.
Ob er Nadeche liebt?
Das steht nicht im Vordergrund.
Mein Fazit
Mit dem Buch Die Hungrigen und die Satten ist dem Autor Timur Vermes ein ganz erstaundlich gut gebauter Roman gelungen.
In seinem Szenario findet er Antworten auf viele Fragen, die einem als Leser im Zusammenhang mit einem solchen Fußmarsch vielleicht in den Sinn kommen.
Wie werden die Flüchtlinge versorgt? Wie viele Kilometer gehen sie am Tag? Werden die Kranken, Verletzten und Schwangeren irgendwie versorgt? Und wie reagieren die Durchgangsländer?
All diese Probleme und deren Lösungen sind von Vermes recht gut durchdacht. Man möchte allen potentiellen Flüchtlingen in dieser Welt am liebsten zurufen, dass sowas in der Realität ganz bestimmt nicht funktioniert.
Und man möchte auch den Medien zurufen, dass sich ein solches Unterfangen weder für eine Live-Sendung, noch für Content Marketing von Modemarken eignet. Weder aus praktischen, noch aus moralischen Gründen.
Dieser Roman behandelt ein hochbrisantes Thema mit Hilfe eines lockeren und witzigem Erzählstils. Ohne, dass der warnende Zeigefinger unmäßig hoch erhoben wird, wird hier die Dummheit, Borniertheit, Arroganz von Verantwortlichen und Institutionen deutlich an den Pranger gestellt.
Ihr seid noch nicht so ganz überzeugt? Vielleicht interessiert euch dann ja dieses Interview mit Timur Vermes, das auf Spiegel Online erschienen ist.
Wem könnte dieses Buch gefallen?
- Menschen, die sich über die Flüchtlingsproblematik ernste Gedanken machen
- Leser, die die hirnverbrannten Sendungen in den privaten Sendern verachten
- Leser, die unterhaltende Literatur schätzen, wenn sie intelligent geschrieben ist
Für wen wäre dieses Buch eher nicht geeignet?
- Leute, die sich über die Flüchtlingsproblematik Gedanken machen – aber in die andere Richtung
- Leser, die ohne ein gewisses Mindestmaß an Sex, Action und Blutvergießen nicht leben oder lesen können
- Alle Leser, die darauf verzichten können, zum kritischen Denken angeregt zu werden
Bibliografisches zu „Die Hungrigen und die Satten“
- Titel: Die Hungrigen und die Satten
- Autor: Timur Vermes
- Gebundene Ausgabe: 512 Seiten
- Verlag: Eichborn; Auflage: 1. Aufl. 2018 (27. August 2018)
- Sprache: Deutsch
- ISBN-10: 9783847906605
- ISBN-13: 978-3847906605
- Preis (Stand April 2020): 12,90 Euro (Taschenbuch), 9,99 Euro (Kindle), 21,99 Euro (Gebundenes Buch), 9,99 Euro (Audio-CD, genial gelesen von Christoph Maria Herbst)
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(Alle Angaben ohne Gewähr)
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Habt ihr dieses Buch schon gelesen? Hat es euch gefallen?
Hinweis: Dieser Artikel erschien ursprünglich auf meinem Blog Sabienes Traumwelten.
Text: Die Hungrigen und die Satten – Ein Roman von Timur Vermes ©sabienes-welt.de
Alle Fotos: Die Hungrigen und die Satten – Ein Roman von Timur Vermes ©sabienes-welt.de