*Dieser Artikel enthält Namensnennung*
Eine Stadtführung ist immer recht förderlich für die kulturelle Bildung des interessierten Besuchers.
Doch mal ganz ehrlich: Nach der dritten Jahreszahl und dem fünften Gebäude (“ … links der Dom aus dem sechzehnten Jahrhundert … „ ) lässt die Konzentration doch merklich nach.
Aber falls ihr mal nach Frankfurt am Main kommen solltet, empfehle ich euch eine Stadtführung durch Frankfurt der ganz besonderen Art. Denn diese wird von einem Ex-Obdachlosen geführt.
Inhaltsverzeichnis
Keine gewöhnliche Stadtführung durch Frankfurt
Frankfurt, die Metropole am Main, Mainhattan, Boomtown – diese Stadt steht wie keine andere in Deutschland für Geldadel und gepflegtem Bürgertum. Aber wo Licht ist, ist auch Schatten – diese Aussage von Goethe (auch so ein Frankfurter) passt zu dem gravierenden Anstieg der Wohnungs- und Obdachlosen in den letzten Jahren.
Deswegen hat Enactus, eine Projektgruppe der Universität Frankfurt das Projekt „Straßenblick“ ins Leben gerufen, bei dem frühere Obdachlose während einer Stadtführung ihren ganz anderen Blick auf ihre Stadt zeigen. Dies ist eine typische Win-Win-Situation: Die ehemaligen Obdachlosen haben eine Aufgabe, die Besucher erhalten Eindrücke in ein fremdes Leben, die sie nie wieder vergessen werden.
Diese außergewöhnliche Führung dauert ungefähr zwei Stunden und ich kann euch versichern: Ich war bis zum Schluss voll bei der Sache!
Eine Stadtführung durch Frankfurt der besonderen Art mit Straßenblick
Thomas Adam, Ex-Hamburger, Ex-Alkoholiker, Ex-Obdachloser erwartete uns mit weiteren Teilnehmern am Eisernen Steg am Mainufer.
Diese Brücke war zwischen 1990 und 2006 immer wieder sein Standort zum „Platte machen“ – also Schnorren, Betteln und anderen Geschäftchen der nicht ganz legalen Art.
Das Leben auf der Straße
Er erzählte sehr offen, wie er in dieses Leben abgerutscht ist. Seine ersten Erfahrungen mit Alkohol, seine gescheiterte Ehe und die Landung auf der Straße berichtete er mit einer bemerkenswerten Schonungslosigkeit gegenüber seiner eigenen Person.
Das Leben auf der Straße ist kein Zuckerschlecken. Sowas, wie eine Bruderschaft der Penner oder Solidarität unter den Obdachlosen gehört ins Reich der romantischen Legenden. Denn alkoholkrank oder drogensüchtig, wie die meisten von ihnen sind, ist jeder damit beschäftigt, die Mittel für seine jeweilige Sucht zusammenzukratzen. Da wird untereinander gelogen und gestohlen, was das Zeug hält.
Die größten Gefahren für Obdachlose sind neben Läusen, erfrorenen Zehen, kaputten Zähnen all die anderen Obdachlosen. Und manchmal kommt sogar ein Serienmörder vorbei, wie der Hammermörder, der im Jahr 1990 in Frankfurt sein Unwesen unter den Ärmsten der Armen trieb.
Thomas Adam führte uns zu den verschiedensten Stationen seines Lebens. Er erzählte uns, wo er gutes Essen hat finden können, wo einer seiner Schlafplätze gewesen ist und das er fast einmal den Mick Jagger getroffen hätte. Außerdem berichtete er, wie er seinen Rausch in der Toilette des damaligen Hertie-Kaufhaus ausgeschlafen hat. Als er erwachte, war alles dunkel und verschlossen. Seinen aufkeimenden Hunger stillte er mit den kleinen Cognac-Fläschchen, die an der Kasse angeboten werden. Irgendwann hat ihn das Wachpersonal in der Lebensmittelabteilung gefunden.
Hilfe für Obdachlose
Es gibt aber auch viel Hilfe und Gutes, dies betonte Thomas Adam bei seiner Stadtführung immer wieder.
Er erzählte uns von einer Frau, die ihm jeden Morgen eine Kanne Tee und belegte Brötchen vorbei gebracht hat. Im Franziskustreff, gleich hinter den Glaspalästen der Zeil, bekommen Obdachlose für einen symbolischen Betrag von 50 Cent ein opulentes Frühstück. Und auch von den Behörden gibt es etliche Hilfen, die ein Obdachloser in Anspruch nehmen kann – wenn er das denn will.
Die Rückfallquote ist leider sehr hoch. Denn mit dem Abschied vom „Kiez“ muss ein Obdachloser nicht nur die Finger vom Alkohol lassen. Er verliert sein komplettes soziales Umfeld und muss lernen, sich in der „normalen“ Welt zurecht zu finden.
Was ich bei dieser Stadtführung gelernt habe
Ich habe sehr viel zum Thema Mitgefühl (gegenüber Menschen, die warum auch immer am Rand der Gesellschaft leben) und Demut (über das Glück meiner eigenen komfortablen Situation) gelernt.
Nun weiß ich, dass man zwischen Obdachlosen und Wohnungslosen unterscheiden muss und das es in den Städten osteuropäische Bettlerbanden gibt, von denen man Abstand nehmen sollte.
Es hat mich gefreut, dass es so viel Wohltätigkeit und Hilfe in dieser Stadt und überhaupt in Deutschland gibt.
Obdachlosenzeitungen werden im übrigen nicht von richtigen Obdachlosen verkauft, dennoch sind sie ein gute Sache. Außerdem ist es eine gute Idee, einem Penner Geld zu schenken. Natürlich wird er sich davon Alkohol kaufen – aber dies tut er ohnehin.
Wo kann man diese Stadtführung buchen?
Diese Führungen werden von den Frankfurter Stadtevents organisiert. Sie dauern etwa zwei Stunden, kosten 15 Euro pro Person und finden in deutscher Sprache statt.
Zur Buchung bei den Frankfurter Stadtevents geht es hier entlang.
Im Übrigen haben die Frankfurter Stadtevents auch noch andere Themenführungen im Programm. Ein Blick darauf lohnt sich auf jeden Fall.
Mehr Informationen zu dem sehr interessanten Projekt Straßenblick findet ihr auf dieser Seite.
Jetzt bleibt mir nur noch, dass ich mich bei Thomas Adam für seine Führung und seine Erzählungen bedanke und dafür, dass er geduldig alle unsere Fragen beantwortet hat.
Und ich wünsche allen, die auf der Straße leben, dass sie die Kurve kriegen und allen, die es geschafft haben, dass sie dabei bleiben!
Und ganz besonders natürlich dem Thomas Adam.
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Es gibt solche Stadtführungen in etlichen anderen deutschen und internationalen Großstädten. Auf eurer nächsten Städtereise solltet ihr euch unbedingt im Vorfeld darüber informieren!
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Hinweis: Dieser Artikel erschien ursprünglich auf meinem Blog Sabienes Traumwelten.
Text: Eine Stadtführung durch Frankfurt der besonderen Art mit Straßenblick ©sabienes-welt.de
Alle Fotos: Eine Stadtführung durch Frankfurt der besonderen Art mit Straßenblick ©sabienes-welt.de